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  • ps7657

Wohnen mit Verspätung

Unser Haus stand mit rund neun Monaten Verspätung – leider immer noch leer. «Es fehlen nur noch ein paar kleine Details», pflegten wir jeweils auf Fragen von Freunden und Bekannten zu antworten. Es waren wirklich kleine Details, an verschiedenen Ecken und Enden. Und zu unserem Leidwesen taten sich die Handwerker mit eben diesen Details extrem schwer.


Der unvollendete Zustand unseres Hauses war die Folge einer Art Kettenreaktion. Der Sanitär konnte die Toiletten, Lavabos und Wasserhähne nicht montieren, weil der Plattenleger mit seiner Arbeit nicht fertig war. Der Plattenleger konnte seine Platten nicht fertig legen, weil er sich verrechnet hatte und das Werk für die nachbestellten Platten sehr lange Lieferfristen hatte. Das Werk konnte nicht früher liefern, weil die Platten zu spät nachbestellt wurden. Der Plattenleger konnte nicht früher nachbestellen, weil der Gipser die Wände im Bad noch nicht fertig hatte, und der Gipser konnte die Wände nicht fertig stellen, weil der…


«IRGENDEINER HAT DOCH MIT DEM GANZEN SCHEISS ANGEFANGEN!» Rief meine Frau sichtlich mit den Nerven am Ende ins Telefon. – Schliesslich schlug meine Frau vor: «Fangen wir doch ganz neu an und nehmen wir die Sache noch einmal richtig in Angriff!» Der Plattenleger am andern Ende des Telefons schien gleicher Meinung zu sein. Schien. «Gut, wenn der Gipser seine Löcher gestopft und seine Wände fertig hat, und wenn der Elektriker die Dose im Badezimmer richtig montiert hat, und wenn der Heizungsbauer endlich weiss, wo er mit dem Rohr…» Meine Frau lag längst am Boden. Völlig zerstört. Es schien keinen Sinn mehr zu haben. Ihre letzte Hoffnung, in diesem Leben doch noch ins neue Haus einziehen zu können, war verpufft.


Wir vereinbarten mit den verbleibenden Handwerkern eine Begehung an Ort und Stelle. Und zu dem vereinbarten Termin erschienen sie tatsächlich mehr oder weniger pünktlich. Einer kommt immer zu spät, oder gar nicht. «Wissen Sie, meine Schwiegermutter wollte mit dem Auto aus der Garage fahren, just in dem Moment, als der Bus…» – Bekannte Geschichten aus dem Elsass.


Zu unserer Überraschung war zum Lokaltermin auch der Schreiner erschienen. Nach dem begeisterten «schön, Sie zu zusehen», meiner Frau, fiel die Stimmung gleich wieder. «Ich kam nur um zu sagen, dass ich die Türen gerne montiert hätte, aber schon im Keller ist eine Warmwasserleitung im Weg».


Auf jeden Fall wurde gemeinsam mit den Handwerkern ein Terminplan ausgearbeitet. Der Gipser hatte während der rund anderthalb-stündigen Diskussion seine Arbeit still und heimlich abgeschlossen. Also stand dem Plattenleger nichts mehr im Wege. «Sie können sofort weiterarbeiten», sagte meine Frau. – «Gut, diese Woche – es ist ja bereits Dienstag – geht‘s kaum mehr, aber am kommenden Montag mache ich weiter», versprach der Handwerker. Und nach seinem Termin wurden sämtliche anderen Handwerkertermine ausgerichtet. «Freue Dich, in zehn Tagen wohnen wir im fertigen Haus!», rief meine Frau freudig aus.

Wie gewohnt kam natürlich wieder alles anders. «WO-UM-HIMMELS-HERR GOTTS-WILLEN-SIND-SIE?!» Der Plattenleger hatte seine Arbeit nicht aufgenommen. Nach vier Tagen erreichte ihn meine Frau per Handy. «Ja, das ist eine dumme Sache», meinte der Handwerker kleinlaut, «Meine Schwiegermutter…» Meine Frau unterbrach ihn: «WAS INTERESSIERT MICH IHRE SCHWIEGERMUTTER?! Sie sollten unser Badezimmer fertig machen!»


Und weil der Plattenleger nicht termingerecht seine Arbeiten erledigt hatte, blieb der Sanitärinstallateur ebenfalls zu Hause, und der Schreiner machte sich mit unseren Türen schon gar nicht auf den Weg zu unserem Haus. Der Elektriker rief mich an und sagte: «Gottseidank habe ich den Sanitärinstallateur getroffen, sonst wäre ich am Ende noch umsonst zu Ihrem Haus gefahren…»


Der einzige Handwerker, dem nichts bei seiner Arbeit im Wege stand, war der Steinmetz, der die grosse Granitabdeckung für unsere Küche herstellte. Er versprach auch prompt, «am nächsten Montag» die Küche fertig zu machen. «Dann können Sie ja im Prinzip einziehen», sagte er lächelnd. Das war das Letzte, was wir vom Steinmetz für lange drei Wochen gehört hatten. Als ihn meine Frau endlich erreichte, erklärte er: «Sie glauben es nicht, aber als ich just zu ihnen fahren wollte, rutschte ich vor meinem Geschäft im Schnee aus und brach mir den rechten Arm».


Als tags darauf der Postbote meiner Frau sagte, «Sie wohnen schon so lange hier, und haben den Briefkasten noch nicht angeschrieben», riss sie ihm die Tasche von der Schulter und leerte die Post des Quartiers in den Garten...


(Bild von Gerd Altmann auf Pixabay)



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