Der Orientierungssinn meiner Frau ist exakt und untrüglich, ausser, sie hält im Wald Ausschau nach Pilzen. Kürzlich fuhr sie also mit ihrem Wagen Richtung Waldrand, einige hundert Meter ausserhalb des Dorfes. Sie wollte in der Mittagspause schnell mit unserer Hündin Bonnie spazieren gehen.
Wenn meine Frau sich in einem Wald bewegt, dann schweift ihr Blick in erster Linie über den Boden auf der Suche nach Pilzen. So auch an diesem Tag. Sie parkierte schliesslich das Auto am Rande eines Waldweges und stieg aus. In diesem Moment raschelte es im Unterholz und ein ausgewachsenes Reh sprang auf den Waldweg und verschwand mit zwei weiteren Sprüngen auf der anderen Seite im Gebüsch. Hündin Bonnie zögerte natürlich nicht lange und verfolgte das Reh. Nachdem sich meine Frau vom ersten Schrecken erholt hatte, rief sie Bonnie zurück. Nach wenigen Augenblicken erschien denn auch die gut erzogene Hündin wieder beim Auto.
In diesem Moment aber raschelte es erneut im Gebüsch und ein junges Reh hüpfte über den Weg. Bonnie spitzte die Ohren und setzte zur Verfolgung des Tieres an. Meine Frau, die sich um das kleine Rehlein nun echt Sorgen machte, lief hinterher und versuchte mit allerlei Befehlen und Geräuschen, Hündin Bonnie zum Umkehren zu bewegen.
Das kleine «Verfolgungsrennen» kreuz und quer durch den Wald dauerte einige Minuten. Dann gab Bonnie ihre Hoffnung, den Geschmack von frischem Wildfleisch zu erfahren, auf und kehrte zu Frauchen zurück.
Für meine Frau hatte die Pflicht des Hundespaziergangs längst erfüllt und sie machte sich – den Hund nun an der Leine führend – auf den Weg zurück zum Auto. Als sie aber an der Weggabelung, an welcher sie das Auto parkiert zu haben glaubte, ankam, war kein Auto zu sehen.
Meine Frau besann sich kurz und kam zu der Überzeugung, das Auto etwas weiter südlich geparkt zu haben. Aber auch weiter südlich nicht die kleinste Spur eines Autos. Also weiter westlich! Nach rund 500 Metern eine neue Weggabelung, aber kein Auto. Auch 500 Meter nördlich davon nicht. Also zurück, zum Ausgangspunkt!
Aber wo war Startpunkt nun wieder genau? Meine Frau kam der Verzweiflung immer näher, Hündin Bonnie verstand das Konzept des Spaziergangs nicht mehr.
Weil das Handy im Auto lag, konnte meine Frau nicht Alarm schlagen oder Hilfe rufen. Nach knapp zwei Stunden gab sie die Suche auf und marschierte Richtung Dorf. Am Dorfeingang traf sie einen Bauern auf seinem Traktor. «Ich habe mein Auto im Wald verloren. Können Sie mir bitte helfen?!» Der Bauer unterdrückte einen Lachanfall, wechselte vom Traktor in sein Auto und forderte meine Frau auf, einzusteigen. Danach begann der zweite Teil der Suchaktion, der allerdings bereits nach einer halben Stunde zum Erfolg, zum «verlorenen» Auto führte.
Nach einer um fast drei Stunden verlängerten Mittagspause traf meine Frau schliesslich wieder im Büro ein. Der Bauer fuhr nach der Suchaktion direkt ins Dorfrestaurant, und sorgte mit der Geschichte vom verlorenen Auto am Stammtisch für Aufsehen und Gelächter. Eine Geschichte über den ganz normalen Wahnsinn des Lebens!
Comments